i blog, you blog, we all blog - why blog?

[21.03.2006]


einsamkeit die sich in selbstzweck ergießt? die vierte, fünfte, siebzehnte medienmacht im land? die klowände des internets? der vermeintliche, aber ausbaufähige zusammenschluss mehrerer privater verfasser in offener briefform bildet wohl keinen medienverbund, auch wenn man gerne meinungen anderer als eigene aufnehmen und akkumulieren mag. aber das weblogging oder kurz blogging ist zweifelsohne das auffälligste internet-phänomen des jahres 2005 gewesen. jeder konnte schreiben, kommentieren, sich beteiligen. ein wenig zeitung spielen wie damals als kind. nur diesmal weltweit sichtbar.

wie karg wirkt so manche -auch niveaustarke- schülerzeitung, haptisch in der hand aber nicht so knallig, nicht so farbgewaltig und reaktionsschnell wie ein blog, hier kann ich nicht autor, leser, kommentator gleichzeitig sein. hier bin ich allein, mit seelenlosen papier und nur konsument. wie warm ist da doch der elektrische 70-85 hertz dunst des blogs. zu allem kann ich etwas sagen, alles finde ich, finde ich so oder so, gut oder nicht so. versteckt hinter dem nick, unaufgehalten vom log-in, einfach preview und submit und da ist es, 1 2 3 – meins. mein inhalt, mein gedanke, mein bild, mein haus, meine armbanduhr,  meine persönlichkeit in drei sätzen, mein block, mein senf. aber ist das alles wertvoller wenn es weltweit ausgestrahlt wird auf abruf??

ich zweifle noch. wer mag beurteilen wie wichtig der gedanke ist, wie vermessen möchte man sein? es ist ein wettstreit der eigenen wichtigkeit, der eigenen verzweifeltheit oder der eigenen freude, wie einem der sinn gerade steht.  mein gedanke zählt nicht, zu wenig „views“, zu wenig „comments“, mein denglisch braucht ein update. hab ich mich zu unklar ausgedrückt, zu unhip oder gar zu klar und wirke damit einfach und naiv? ich will einer von euch sein. be a part. i am a blogger!

und hier schlägt der verstand, die vernunft zurück. was will ich? mich mitteilen? aber wem? und warum nicht gezielter. hübsch wäre ein offener liebesbrief blog, allein schon um „nur die liebe zählt“ aus der fussball-winterpause oder noch besser ganz und für immer zu verdrängen. wenn man gute hübsche und leider wohl dann manchmal unerhörte gedanken hat, dann soll man das ja gerne jeder mitteilen und mitbekommen. für gute gedanken und gefühle sollte man sich vor niemanden schämen. ebenso wenig schaden können hilfreiche tipps, spezifische erfahrungen oder lebenshilfen. kann ja nicht jeder so butterweich durchs leben gehen wie ich durch diesen beitrag schneide.

doch ergründet man das phänomen nicht zu kurz gedacht. ist die blogging-flut nicht eine nachwehe des foren-hype der vorangegangen jahre. von fußpilz, „ich esse glas“ bis „string item overflood“, nichts war zu kauzig, zu waghalsig oder zu speziell um nicht eine anlaufstelle virtuell dafür zu errichten.

blogging hat die welt verändert!? galt es für foren noch ein wenig verstand und einsicht in web-programmierung zu haben, haben die weblogs mit ihren zalhreichen wordpress / moveable type/ iblog youblog weallblog (for ice cream) systemen die massenkompatibilität erreicht. der magix musikmaker der selbst-seelsorge? nein gewiss wäre das unrecht zu sagen. kulturhochmut über bord geworfen, das internet ist für alle da, das ist der ureigene und vielleicht einzige sinn des wohl unbegrenzt wachsenden phänomen auf diesem planeten.

eine lanze für die blogs. als eine art massenmailing temporär für auslandaufenthalte oder als reisereport eine feine praktische, vor allem überall zugängliche möglichkeit kontakt aufrecht zu erhalten. aber generell ist doch das vis-en-vis, das treffen vor ort und bidirektionale gedankenaustauschen dem post-your-mind vorzuziehen. mal ganz abgesehen davon, dass nicht alles was in einem drin ist für alle bestimmt ist – selbstzensur greift auch an meiner eigenen nase. wirft man geheimnisse zugunsten der selbstentblößung fort, sollte man immer noch fragen ob dies überhaupt irgendwen interessiert. altklug zusammengefasst ist es also ein für und wider mit dem bloggen.

absolut nicht ist es zu verurteilen, aber ebenso wenig ist es durch eigenen selbstzweck und „weil das ja jeder hat und macht“ zu verantworten. „check yoself“ würde der grandmaster sagen, “don’t believe the hype” oder “whatever-anthems” – in diesem sinne prüft was ihr macht und schreibt und welchen trend-götzen ihr heute  - wie ich - auf dem leim geht.

[jw]


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"humankapital - das unwort des jahres 2004